Kann zu langer Musikgenuss mit In-Ear-Kopfhörern zu Problemen führen?
Das ist die Frage, die viele von euch sich wohl stellen. Vor dem Kauf eines neuen Produktes sollte man sich natürlich über solche Fragen Gedanken machen. Denn wer will schon Kopfhörer besitzen, die der eigenen Gesundheit schaden.
Vor allem in diversen Foren wird immer wieder eifrig diskutiert ob In-Ear-Kopfhörer dem Gehör schaden. Man kennt ja die Statistiken und Studien, wonach bei Jugendlichen, die oft und lange Musik über ihren MP3-Player hören, Schäden am Trommelfell festgestellt wurden.
Doch sind diese Studien überhaupt glaubwürdig? Um dies für den speziellen Fall der In-Ear-Kopfhörer zu verstehen ist erstmal die genaue Funktionsweise dieser Kopfhörer zu erklären.
Wo ist denn nun genau der Unterschied zu herkömmlichen Kopfhörern?
Normale Kopfhörer haben breite Ohrstöpsel (siehe Bild links). Diese kann man sich in das Ohr stecken. Dabei reichen die Kopfhörer aber nicht sehr weit in den Gehörgang hinein. Es geht also ein großer Teil der Musik, die aus den Kopfhörern strömt, verloren. Diese Musik wird aus der Ohrmuschel nach außen geleitet. Aus diesem Grund hören auch Außenstehende welche Musik man wie laut hört.
Bei In-Ear-Kopfhörern ist dies anders. Die Ohrstöpsel sind wesentlich ergonomischer gestaltet und passen tiefer in den Gehörgang. Durch Silikonaufsätze sitzen sie besser und schließen den Gehörgang quasi ab, sodass die Musik nur in den Gehörgang gelangt und nicht länger nach außen abgegeben wird.
Kann generell ein Schaden entstehen wenn man mit Kopfhörern Musik hört?
Generell kann (!) natürlich immer ein Schaden entstehen. Vor allem wenn die Lautstärke zu hoch gestellt wird kann es zu einer Schädigung des Trommelfells führen. Das gilt für sämtliche Typen von Kopfhörern, aber auch für Hifi-Anlagen, Diskos etc. Das ist ja mittlerweile auch hinreichen bekannt.
Was passiert denn bei einer solchen Schädigung im Ohr?
Es gibt zwei Arten von Hörschädigungen:
Zum einen gibt es die Schallleitungsschwerhörigkeit (kurz SL), bei der der Übertragungsweg des Schalls vom Gehörgang über das Trommelfell, die Gehörknöchelkette (Ossikel) bis zum ovalen Fenster der Cochlea (Hörschnecke) gestört ist.
Zum anderen gibt es die Schallempfindungsschwerhörigkeit (kurz SE), zu der auch die hier thematisierten Lärm bedingten Hörschädigungen gehören. Dabei spielt neben einem neuralen Hörverlust, der Störung des Datenflusses über die Nervenbahnen (Hörnerv), vor allem die Beschaffenheit der inneren und äußeren Haar(-sinnes)zellen eine große Bedeutung. Die schädigende Wirkung von Lärm lässt sich nämlich genau dort lokalisieren.
Diese Haarzellen befinden sich in der Cochlea, oder genauer in der Scala Media. Innere und äußere Haarzellen treten nur in Kombination mit einander und im Verhältnis 1:3 auf, insgesamt besitzt jeder Mensch um die 12000. Sie bilden dabei Reihen, eine Reihe innerer Haarzellen gepaart mit drei Reihen äußerer Haarzellen.
Innere und äußere Haarzellen haben verschiedene Funktionen:
Für die inneren Haarzellen (auch Inner Hair Cells genannt) kann man sehr vereinfacht sagen, dass sie bei Schall von außen durch Schwingungen der Basilarmembran angeregt werden und dadurch Nervenimpulse zum ZNS, dem zentralen Nervensystem, aussenden, die wir als "Hören" wahrnehmen. Wichtig ist hier, dass bestimmte IHCs auf Grund der cochleären Beschaffenheit nur auf bestimmte Frequenzen reagieren können. Am Anfang der Schnecke, der Basis, sind die hohen Frequenzen angeordnet, zum Ende, dem Apex, werden die Frequenzen tiefer. Zur Veranschaulichung kann man sich hier als (veraltetes) Modell die Betrachtung von Klaviersaiten vorstellen.
Die äußeren Haarzellen (Outer Hair Cells) dienen der Verstärkung der durch Schallwellen verursachten Wanderwelle in der Cochlea und zwar am Ort ihrer spezifischen Frequenz (ähnlich einer Resonanzfrequenz). Es handelt sich allerdings nicht um eine lineare Verstärkung, sie ist kompressiv und nimmt mit zunehmendem Schallpegel ab (bis ca. 80 dB). Sie senden keine Informationen an das ZNS, vielmehr werden sie vom ZNS bzw. dem Gehirn im Grad ihrer Verstärkung gesteuert.
In einem Satz: Die OHCs verstärken eine ortsabhängige Frequenz der Wanderwelle, die von den IHCs als gehört zum ZNS gesendet wird.
Bei Lärmeinwirkungen, wie zum Beispiel langes und/oder lautes Musik hören, werden vor allem die OHCs geschädigt. Die Haarzellen, sowohl IHC als auch OHC, besitzen Fortsätze, die man Stereozilien nennt. Ein Ablenken der Stereozilien bewirkt das Aussenden eines Aktionspotentials, was wiederum zu einem Nervenimpuls führt und damit die Wahrnehmung des Reizes, dem Schall, darstellt. Diese können jedoch abbrechen oder verklumpen, sodass ihre nötige Beweglichkeit eingeschränkt bis gar nicht mehr vorhanden ist, sie werden mechanisch geschädigt. Und genau das geschieht bei dauerhafter bzw. großer Lärmeinwirkung (an dieser Stelle seien auch Schallereignisse wie ein Schuss oder ein Knall erwähnt). Bei den OHCs ist zunächst nur die erste Reihe betroffen, anhaltende oder wiederholte laute Schallereignisse wirken sich dann auch auf die anderen beiden Reihen aus.
Es kommt zum sogenannten Temporary Treshhold Shift (TTS), einer zeitweisen Verschiebung der Hörschwellen durch Lärmeinwirkung. In einem gewissen Maße kann sich das Ohr regenerieren, d.h. bei einem TTS von unter 40 dB. Die Erholung des Ohres kann direkt ein paar Minuten nach der Lärmeinwirkung beginnen und bis zu 16 Stunden dauern (linear recovery). Es gibt auch eine verzögerte Genesung, bei der die Hörschwellenverschiebung mehrere Stunden andauern kann, jedoch spätestens nach zwei Tagen verschwunden ist (delayed recovery - complete).
Ist der TTS größer als 40 dB, erholt sich das Ohr zwar auch aber das Hörvermögen kann nicht komplett wieder hergestellt werden (delayed recovery - incomplete), es kommt zum Permanent Treshold Shift (PTS). Einmal zerstörte Haarzellen sind irreversibel verloren und können ihre Funktion nicht mehr erfüllen, denn im Gegensatz zu Vögeln, wachsen die Haarzellen beim Menschen nicht nach.
Die Stereozilien können, vor allem bei Impuls ähnlichen Schallereignissen, wie z.B. bei einem Schuss, auch sofort zerstört werden, ohne dass eine Erholung möglich ist.
Die Empfindlichkeit der Haarzellen ist allerdings von jedem individuell abhängig, besonders empfindliche Zellen nennt man auch "vulnerables Gehör".
Nach einer Expositionsdauer von ein viertel Stunde kann es bei einem Pegel von ca. 90 dB schon zu einem TTS von etwa 10-15 dB kommen. Tägliches zu lautes Musik hören verhindert, dass sich das Gehör wieder regeneriert und der TTS sich zurückbilden kann und sich damit zum PTS "hoch schaukelt".
Deshalb ist es besonders wichtig, dem Gehör Ruhephasen zur Regeneration zu gönnen (Stunden, nicht Minuten!), um einem dauerhaftem Hörschaden zu vermeiden.
Erste Anzeichen einer aufkommenden Schallempfindungsschwerhörigkeit können übermäßig lange Erholungszeiten bei einem TTS oder Ohrengeräusche, wie z.B. Tinnitus, sein.
Lärm bedingte Hörschäden beginnen in der Regel mit einem Hochtonverlust, speziell bei einer Frequenz um die 4000 Hz. Dieser Verlust wird häufig als c5-Senke bezeichnet und breitet sich immer mehr auf die umliegendenFrequenzen aus.
Im Arbeitsrecht gilt ein Pegel von 80 dB(A) über einen Zeitraum eines Arbeitstages von acht Stunden als unbedenklich. Treten höhere Pegel auf, muss auf die Gefahr der Hörschädigung hingewiesen werden, ab 85 dB(A) ist das Bereitstellen von Gehörschützern Pflicht.
Warum diese Schädigungen nicht mehr vorkommen (sollten)
Prinzipiell sind die meisten MP3-Player und auch Kopfhörer gedrosselt. Sprich, es ist mittlerweile in Europa Standard, dass die maximale Dezibel-Zahl der auf dem Markt verfügbaren Geräte den für Menschen gesunden Bereich nicht überschreitet.
Doch gibt es leider immer wieder Importe, bei denen diese magische Grenze nicht beachtet wird.
Natürlich muss die Schädigung nicht unbedingt vom Gerät ausgehen. Wer viel zu laut Musik hört ist selber Schuld. Es gibt ja teilweise sogar Leute, die ihre hier gekauften MP3-Player so bearbeiten, dass diese doch in den für Menschen ungesunden db-Bereich gehen.
In solchen Fällen können die Hersteller dann auch nicht mehr intervenieren. Für diese Leute kommt jede Hilfe zu spät.
Speziell: In-Ear-Kopfhörer
Gerade In-Ear-Kopfhörer werden von vielen Menschen als potentiell gefährlich angesehen. Dabei sind sie in keiner Weise bedenklicher als alle anderen Kopfhörer auch. Die meisten Leute sind versunsichert weil die Ohrhörer ja viel näher am Ohr sind und vermuten deshalb eine größere Wahrscheinlichkeit einer Hörgangsschädigung.
Doch betrachten wir es mal von einem etwas neutraleren Standpunkt aus. In-Ear-Kopfhörer zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie das Ohr von Umweltgeräuschen abschirmen. Durch diese Abschirmung ist man weniger gezwungen seinen Kopfhörer in lauten Bereichen wie z.B der U-Bahn oder der Fußgängerzone lauter zu stellen.
Wann nutzt der normale Mp3-Player-Nutzer denn wirklich mal 100% seiner Lautstärke aus? Nur dann wenn Außengeräusche den ungestörten Musikgenuss verhindern. Das passiert bei In-Ear-Kopfhörern ja nun nicht mehr.
Von daher besteht viel seltener der Grund die Kopfhörer überhaupt lauter zu machen. Man bekommt ja auch bei 50% der Lautstärke noch alles glasklar mit. Von daher sind In-Ear-Kopfhörer schon aus psychologischer Sicht wesentlich gesünder für das menschliche Ohr als herkömmliche Kopfhörer.